Im verschlafenen Frankenberg/Sa. erregten am ersten Septemberwochenende fünf mit Super-8-Kameras ausgerüstete Leute viel Aufsehen. Obwohl das populäre Schmalfilmformat in diesem Jahr immerhin sein 50jähriges Jubiläum feiert, sieht man es heutzutage nur noch eher selten. Anlass genug, um mit meinem Kunst- und Kulturverein den Workshop Film‘ dein Frankenberg zu organisieren. 2014 hatte ich selbst an einem Bio-Entwicklungsworkshop von Super-8-Queen Dagie Brundert teilgenommen und war davon begeistert. Seither entwickele ich alle meine Filme und Fotos selbst und gebe mein Wissen gerne weiter.
Für die jungen Teilnehmer meines Workshops war es eine kleine Zeitreise: keiner hatte jemals zuvor mit einer Super-8-Kamera gedreht. „Analogfilm ist definitiv im Kommen“, sagt Frank Weinhold von den Jungen Kunstfreunden Chemnitz, der auch mitgemacht hat. „Dass bei den alten Kameras ein Film durchläuft und jede Sekunde Geld kostet, lässt einen viel bedächtiger filmen.“ Und in der Tat: jeder hatte nur eine Kassette mit 3:16 Minuten zur Verfügung, das schärft den Blick. Motive gab es allerdings genug: beim gemeinsamen Streifzug durch die alte Industriestadt Frankenberg standen besonders Detailaufnahmen hoch im Kurs: Spiegelungen in Fensterscheiben und Pfützen, Fachwerk und andere expressionistisch anmutende Bauwerke. Matthias, der erst am Sonntag hinzukam, wagte sich auf den verregneten Friedhof. „Ob man wohl Tote mit Caffenol-Entwickler re-animieren kann?“, scherzten wir. Mit den entstandenen Filmen klappte das jedenfalls prächtig. Denn wenn bisher viel herumgealbert wurde, wurde es nun ernst.
Zuerst mussten die Filme in vollständiger Dunkelheit aus der Kassette gezogen und in die Lomo-Dose aus massiven Bakelit eingespult werden. Vorher hatten das alle im Hellen geübt, sodass es nun auch im Dunkeln klappte. Kaffee, Vitamin C und Waschsoda, so sagt es Dagies Caffenol-Rezept, locken die negativen Bilder aus dem belichteten Film, die einen die Welt mit ganz neuen Augen betrachten lassen. Man kann den Film zwar auch zum positiven Umkehrfilm entwickeln, aber das geht nicht ohne viel aggressive Brühe und ein Negativ hat definitiv auch seinen Reiz mit seiner Umkehr aller Seherfahrung.
Keine Angst vor Chemie! Denn der einfach herzustellende Bio-Entwickler ist völlig ungefährlich und kann nach Benutzung einfach weggekippt werden. Alles wurde in der vorgegebenen Menge angerührt, wobei exakt gearbeitet werden muss: entwickelt man zwei Filme gleichzeitig, müssen 1,8l Flüssigkeit in der Dose sein, sonst geht es schief. Das war uns beim Fixierer passiert, der nicht ganz reichte. Große Enttäuschung: Marcels Film war grau! Als Entschädigung habe ich ihm daraufhin etwas ganz Besonderes gegeben: einen alten Kodachrome K40. Man kann ihn zwar heute nicht mehr farbig entwickeln, dafür aber mit Caffenol und anderen Bioentwicklern verschiedene Farbschichten aktivieren. Unserer wurde orange und lässt den mit viel Liebe zum Detail dokumentierten Entwicklungsprozess wie pure Magie erscheinen.
Glücklicherweise hatten wir zum anschließenden Trocknen viel Platz, denn wir waren in der ortsansässigen Sächsischen Teppichmanufaktur zu Gast. Ebenso rustikal wie der Entwickler, spannten wir zwischen den großen Webstühlen Wäscheleinen, rollten den Film ab und befestigten ihn mit Wäscheklammern, die uns die Hausherrin freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Einen Tag darauf war alles trocken und die kleinen Filmwerke konnten für die Projektion mit einer Catozzo-Klebepresse zusammengeschnitten werden. Wenn man weiß, dass sie einst von Leo Catozzo, dem Cutter Federico Fellinis erfunden wurde, schwingt dabei immer die Magie des Kinos mit.
Zwei Wochen nach dem Workshop war es dann soweit: Unsere sechs Caffenol-Kurzfilme wurden mit einem Elmo auf die große Leinwand des Frankenberger Welt-Theaters projiziert. Dazu hatten sich rund 60 Personen in das alte Kino eingefunden, dass seit nunmehr sechs Jahren von einem Verein engagierter Kinoliebhaber mit viel Liebe zu einem Analogkino umgebaut wurde und stets viele Zuschauer anlockt. Kino, wie es sein sollte. Erstaunt war ich, dass noch niemand im Saal Super 8 in der Projektion gesehen hatte. Es war also eine richtige Premiere für viele: Film und Projektor wurden fasziniert bestaunt. Anschließend gab es noch zahlreiche Fragen. Dabei wurde augenscheinlich, dass viele hier im Osten nie Super 8 in der Kassette kennengelernt haben, sondern neben Normal 8 und der Dresdner AK8 nur Doppel-Super-8 in Quarz oder Meopta kannten. Viele waren erstaunt, dass diese Filme noch entwickelt werden und dass es noch Filmmaterial gibt.
Mein erster Workshop, mit dem ich meine Super-8-Leidenschaft weitergeben wollte, ging damit zu Ende. Einige wollen jetzt auch selbst Filmen und Entwickeln und planen, in Chemnitz eine Dunkelkammer zu organisieren. Getreu dem Motto: Die besten Filme sind immer die, die noch gedreht werden!
Text: Patrick Müller, Fotos: Patrick Müller (Zeiss Taxona), Eberhard Witzschel (Pentagon Six).
Die fertigen Workshop-Filme werden zur Zeit digital abgetastet und anschließend hier veröffentlicht.
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