„Bücherkind“ – Heiner Müller und die Frankenberger Stadtbibliothek

IMG_2019Frankenberg feiert 2015 das Heiner-Müller-Jahr. Der Kunst- und Kulturverein Frankenberg hat dazu Vereine und Institutionen zusammengerufen, um in einem Festjahr diesen großen deutschen Dramatiker zu ehren. Denn Müller lebte von 1947–1951 in Frankenberg. Um mehr über diese Zeit zu erfahren, wollen wir einzelne Stationen in einer Artikelserie näher beleuchten. Diesmal besuchen wir Sabine Helk, Leiterin der Frankenberger Stadtbibliothek, wo Müller nach dem Abitur von 1949–51 als Hilfsbibliothekar arbeitete.

„Heiner-Müller war ein Bücherkind“, sagt sie. „So nannte die ehemalige Leiterin der Bibliothek, Margot Görner, Jugendliche, die dort für ein paar Pfennige geholfen haben.“ Denn nach dem Abitur bestand die Gefahr der Zwangsverpflichtung zur Wismut, dem sowjetischen Uranbergbau. „Um dieser zu entgehen, hat Müllers Vater, der zur der Zeit Bürgermeister in Frankenberg war, ihm einen Posten in der Stadtbücherei als Hilfsbibliothekar verschafft“, so Helk. Zeitzeugen erinnern sich, dass er dabei allerdings nicht sehr eifrig gewesene sei; meist habe er in seiner Arbeitsecke gesessen und gelesen: die großen Romane von Dostojewskij zum Beispiel, oder Winter von Friedrich Griese. „Er bevorzugte düstere, abgründige Sachen mit pessimistischer Grundhaltung, Weltuntergangsstimmung. Manchmal kamen abends Bekannte von ihm, dann wurde debattiert“, so Görner in Christoph Hauschilds Biographie Heiner Müller.

IMG_2020In der Bibliothek finden sich Zugangs- und Abganglisten, in denen Heiner Müllers Handschrift zu erkennen ist. Mit Stevenson, Poe, Storm und Lagerlöf geben sie einen guten Eindruck, was damals gelesen wurde. In seiner Autobiographie, Krieg ohne Schlacht – Leben in zwei Diktaturen, beschreibt er seine Arbeit in der Bücherei: „Es gab ein Ausleih-Soll an progressiver Literatur. Die Leser waren hauptsächlich alte Damen, die jungen Leute lasen eigentlich nichts. Es gab Prämien fürs Ausleihen. Nicht für mich, aber für den Bibliothekar, einen ehemaligen Lehrer. Er kriegte Prämien, wenn er möglichst viel progressive Literatur auslieh. Brendel, Becher, Scholochow, Gorki. Das wollte aber keiner lesen. Der Bibliothekar hatte einen Giftschrank, da war Ganghofer drin und Rudolf Herzog, der alte Schund. Die alten Damen kriegten dann Ganghofer und Herzog, aber nur, wenn sie auch Marchwitza mitnahmen und Bredel oder Scholochow. Diese Bücher kamen immer ganz sauber zurück, und Ganghofer wurde immer dreckiger. Meine Haupttätigkeit war, Ganghofer zu radieren, um ihn für die nächste Ausleihe wieder instand zu setzen, damit das Soll an progressiver Literaturausleihe bewältigt werden konnte.“

IMG_2021Bibliothekarin Helk erwähnt auch, dass Müller in seiner Zeit als Hilfsbibliothekar bereits viel geraucht habe. „Das hat uns Ullrich Köhler, ein Freund Müllers, verraten, der uns in Frankenberg vor ein paar Jahren in hohem Alter besucht hatte.“
Die Frankenberger Bibliothek ist auf jeden Fall für Müller-Fans einen Besuch wert. Leihbar sind u.a. die große Werkausgabe, Biographien von Christoph Hauschild, die Autobiographie, Audio-CDs mit zahlreichen Gesprächen zwischen Müller und Alexander Kluge, filmische Dokumentationen und noch viel mehr. Wir danken recht herzlich für das Gespräch! Text und Fotos: Patrick Müller.

Eine Antwort zu „„Bücherkind“ – Heiner Müller und die Frankenberger Stadtbibliothek“

  1. Dietmar

    jetzt wird die Spur ganz heiß !

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